Von Peak-Power im Zug bis Zero-Emission im Hafen – was Ingenieure über Sicherheit, BMS und Systemdesign wissen müssen.

Elektrifizierte Anwendungen abseits des Straßenverkehrs wachsen rasant – von Rangierlok bis Hafenschlepper. Dieser Fachbeitrag fasst die harten technischen Leitplanken für Lithium-Ionen-Batteriesysteme in Luft- und Raumfahrt, auf der Schiene und zur See zusammen – mit Fokus auf Auslegung, Betriebssicherheit und Normenumfeld.

1) Einsatzszenarien und Lastprofile – was die Anwendung vorgibt

Die Fachwelt skizziert für Hochvolt „weitere Anwendungsbereiche“ dort, wo Rekuperation, Hybridisierung und die gegenüber Blei-Säure deutlich höhere Leistungsfähigkeit von Li-Ion echte Systemvorteile bringen. Typische Beispiele: häufiges Beschleunigen/Bremsen im Schienenverkehr, Heben/Senken bei Hafenkränen, batteriegepufferte Diesel-Elektro-Antriebe (z. B. Lokomotiven, Krane, Schiffe) sowie Zugmaschinen im Flughafenvorfeld.

Implikationen für das Lastprofil:

  • Schiene: Hohe zyklische Leistungsanforderungen mit Rekuperationsspitzen; bei elektrifizierten Strecken ist die Rückspeisung ins Netz oft energetisch günstiger – Batterien lohnen sich besonders bei nicht elektrifizierten Abschnitten oder für Peak-Shaving/Startunterstützung. Schienenfahrzeuge benötigen auch eine klassischen IEC/VDE-Qualifizierung und Betrachtung, und sind explizit NICHT im Geltungsbereich der DGUV I 209-093 zu finden.
  • Schiffe/See: Hybridisierte Diesel-Elektro-Systeme erlauben Downsizing und Betriebspunkt-Optimierung des Verbrenners, Batterien puffern Manöver- und Hotel-Loads; am Liegeplatz kann Landstrom/Batterie die Emissionen senken. Ebenso steigen die Optionen rein elektrischer Antriebe, insbesondere bei kleinen Booten und Schiffen. Hier ist eine analoge Anwendung der DGUV I 209-093 durchaus vorgesehen. Der klassische Dieselelektrische Antrieb ist jedoch trotz viel Ähnlichkeit nicht mit einem Hybridantrieb zu verwechseln.
  • Airside (Luftfahrt-Bodenbetrieb): Vorfeld-Zugmaschinen/Tugs profitieren von hoher Leistungsdichte und häufigen Kurzladezyklen.

Fazit: Jedes Teilsegment diktiert sein P/E-Ziel (Power/Energy-Verhältnis) und damit Zellchemie, Modulierung und Thermal-/BMS-Auslegung.

2) Zell- und Systemauslegung: von der Chemie bis zum Pack

Zellchemie & Architektur. Fachleute betonen, dass Li-Ion die heute erforderlichen spezifischen Energien für mobile und stationäre Schwerlast-Anwendungen abdeckt – weit über klassische Blei-Systeme hinaus. Das öffnet Anwendungsfenster, die zuvor „nicht anwendbar“ waren (z. B. e-Antriebe in Hafen/Schiene).

Pack-Topologien. Diesel-hybride Antriebe integrieren den Speicher typischerweise als Leistungs-Puffer (kurzzeitige hohe C-Raten), nicht als Langzeit-Energiespeicher. Das beeinflusst:

  • Zellauswahl (niedriger Innenwiderstand, robuste Hochstromfähigkeit),
  • Modul-/Pack-Kontaktierung (geringe Übergangswiderstände),
  • Thermik (lokal hohe Wärmeflüsse bei kurzen Leistungsimpulsen).

Stationär vs. mobil im industriellen Einsatz. Dort, wo Netzanbindung fehlt (Insel-Lösungen), werden Energiespeicher nach Entladerate (Zeitfenster) und Speicherkapazität klassiert; das prägt Dimensionierung und Betriebsstrategie.

3) Thermisches Management und Sicherheit – die nicht verhandelbaren Basics

Wärmefluss beherrschen. Schienenfahrzeuge (Kurzabstände, Reku-Peaks), Hafenmanöver und Airside-Tugs erzeugen dynamische Lastwechsel; die thermische Architektur muss:

  • Hot-Spots minimieren (homogene Strömung/Kontaktierung),
  • alterungsrelevante Temperaturgradienten begrenzen,
  • Fail-Safe-Strategien für Kühlausfall vorsehen.

Abuse-Robustheit & Systemschutz. Für Straßenfahrzeuge existieren reife Abuse-/Performance-Tests (IEC 62660-1/-2, ISO 12405 u. a.). Für Schiff-, Luft- und Raumfahrtanwendungen verweist die Normungsübersicht ausdrücklich darauf, dass dedizierte Standards aufzubauen/zu etablieren sind – d. h. Hersteller und Betreiber müssen heute besonders sorgfältig eigene Sicherheits-Spezifikationen vom Zell- bis zum Systemniveau definieren und mit Behörden/Abnahme harmonisieren.

Transport-Sicherheit als Kontext. Bereits der Transport gebrauchter/defekter Batterien unterliegt strengen Gefahrgutregeln; defekte Energiespeicher sind in der Luftfracht (IATA/ICAO) z. T. komplett untersagt (Sonderbestimmung A154). Diese Vorgaben unterstreichen das Sicherheitsniveau, das in luftfahrtnahen Anwendungen auch im Betrieb gefordert ist.

4) BMS-Funktionen: von Rekuperation bis Schutzlogik

Überwachung & Schutz. In allen drei Domänen sind Zellspannungs-/Temperatur-Überwachung, Strombegrenzung, Balancing und Fehlerdetektion Grundvoraussetzung. Für Straßenfahrzeuge ist die Prüf-/Nachweislandschaft detailliert (ISO 12405, ISO 6469-1 u. a.); marine/air-spezifische Nachweise sind im Aufbau – daraus folgt ein höherer Integrations-/Nachweisaufwand projektspezifisch (z. B. Brandabschnitte, SHIP-/AERO-Konformität).

Leistungsmanagement.

  • Schiene: BMS muss hohe Reku-Ströme sicher annehmen (State-of-Charge-Fenster, Temperaturfenster) und Überladung aktiv vermeiden.
  • Schiffe: Lastsprünge beim Manövrieren; BMS orchestriert Batterie↔Generator, um Diesel im effizienten Bereich zu halten und Lärm/Emissionen zu reduzieren.
  • Airside: Viele Kurzzyklen/Standzeiten → SoC-Fenster und Zwischenladen pragmatisch optimieren.

5) Mechanik & Integration: Vibrations-, Schock- und Umwelteinflüsse

Schiene: Dauerhafte Vibration/Schock fordert robuste Modulhalterungen, definierte Kabelwege und Stecksysteme mit Vibrationssicherung; Luftführung muss auch bei verschmutzter Umgebung stabil bleiben (Bahnhofsnähe/Partikel). (Motivation: im Text als dynamische Anwendungen mit häufigem Beschleunigen/Abbremsen beschrieben.)

Schiffe: Korrosions-/Salznebel-Exposition, Kondensat und enge Maschinenräume sind nicht zu unterschätzen und sprechen für gekapselte, servicetaugliche Packs mit Kondensat-Ableitung und IP-Schutzkonzept; Landstrom-Anbindung für Hafenliegezeit minimiert Emissionen.

Airside: Weite Temperaturbereiche, Staub/FOD; kurze Servicefenster → modulare, leicht wechselbare Packs.

6) Unterschied zu Straßenfahrzeugen – kurz und präzise

  • Normenumfeld: Für E-Straßenfahrzeuge sind Performance-, Abuse- und Sicherheitsanforderungen detailliert normiert (IEC 62660-1/-2, ISO 12405, ISO 6469-1, ISO 6469-3). Für Schiff-/Luft-/Raumfahrt ist ein kompletter Normenkatalog „zu etablieren“ – d. h. mehr projektspezifische Ableitungen, Zulassungs- und Abnahmeprozesse.
  • Lastbild: Pkw/Bus → gemischtes Fahrprofil; Schiene/See/Airside → deutlicher Peak-/Reku-Fokus bzw. Hotel-Loads/Manöver.
  • Integration: Straßenfahrzeuge nutzen etablierte Plattform-Packages; Marine/Schiene/Airside erfordern stärker maßgeschneiderte Einbauräume, Schutzarten und Wartungszugänge.

7) Betrieb, Instandhaltung, Lebensdauer

Betriebsfenster: Eng geführte Temperatur- und SoC-Fenster reduzieren Alterung – besonders bei Hochleistungsprofilen mit vielen kurzen Lade/Entlade-Pulsfolgen.

Wartung & Austauschbarkeit: Modularität und schnelle Austauschbarkeit (z. B. Airside-Flotten) erhöhen Verfügbarkeit; in Hafen/Schiene erleichtern standardisierte Baugruppen Zustandsdiagnose und Lagerhaltung.

Energie-/Lademanagement: Bei Schiene mit Oberleitung ist die Rückspeisung oft effizienter; Batterien übernehmen dort primär Puffer-/Peak-Aufgaben oder dienen in nicht elektrifizierten Abschnitten als Hybrid-Energiespeicher.

8) Safety-by-Design: Schichtenmodell statt Einzelmaßnahme

Die Quelle impliziert ein Mehrschichten-Konzept: Zellauswahl ⇢ Modulmechanik ⇢ Pack-Sicherungen ⇢ BMS-Abschalten ⇢ Thermik ⇢ Einbauumgebung. Für Straßenfahrzeuge spezifizieren IEC/ISO bereits Abuse-Prüfungen – für Schiffe/Luftfahrt ist die systematische Übertragung in die Domänenstandards die zentrale Aufgabe (Brandschutzabschnitte, Evakuierungswege, Rauch-/Gasführung etc.).

Transport- und Logistikkette berücksichtigen. Bereits vor der Inbetriebnahme gelten strikte Gefahrgutvorschriften; beschädigte Batterien sind z. B. in der Luftfracht ausgeschlossen – das gehört zur ganzheitlichen Sicherheitsplanung (Instandsetzung, Rücktransport).

9) Kompakter Praxis-Leitfaden (Engineering-Check)

  1. Lastanalyse: Peak-Leistungen, Reku-Profile, Hotel-Loads, Zyklustypen erfassen. (Schiene/Hafen/Airside.)
  2. P/E-Ziel definieren: Hochleistungs-Puffer vs. Energie-Träger → Zellauswahl/Konfiguration ableiten.
  3. Thermik auslegen: Worst-Case-Pulse, Homogenität, Fail-Safe bei Kühlungsdefekten.
  4. BMS-Logik: Grenzen, Balancing, Reku-Annahme, Fehlermodi.
  5. Mechanik & Umwelt: Vibration/Schock (Schiene), Salz/Kondensat (See), Staub/FOD (Airside).
  6. Normen & Zulassung: Existierende IEC/ISO für Straßenfahrzeuge als Referenz; marine/air-spezifische Anforderungen projektbezogen ableiten, da Normenkatalog „im Aufbau“.
  7. Betriebskonzepte: SoC-Fenster, Schnellladefenster, Austauschbarkeit, Rückspeisungsstrategien.

10) FAQ

  1. Wo kommen Lithium-Ionen-Batterien außerhalb des Straßenverkehrs zum Einsatz?

In zunehmendem Maße in Schienenfahrzeugen, Schiffen und Luftfahrt-Bodenfahrzeugen (Airside-Tugs). Typische Anwendungen sind hybridisierte Diesel-Elektro-Systeme, Rangierloks, Hafenkräne und Flughafen-Zugmaschinen.

  1. Worin unterscheiden sich die Lastprofile dieser Anwendungen?
  • Schiene: Hohe zyklische Leistungsanforderungen, Rekuperationsspitzen, teils Netzrückspeisung.
  • Schiffe: Starke Lastsprünge beim Manövrieren, Hotel-Loads, Emissionssenkung durch Landstrom.
  • Airside: Kurze, häufige Lade-/Entladezyklen und schnelle Ladefenster.
  1. Welche Zellchemien und Systemauslegungen sind geeignet?

Li-Ion-Systeme bieten die erforderliche spezifische Energie und Leistung. Entscheidend ist das P/E-Verhältnis:

  • Power-orientiert (z. B. Hybrid-Puffer in Lokomotiven) → niedriger Innenwiderstand, hohe C-Raten.
  • Energy-orientiert (z. B. Langzeitbetrieb auf See) → hohe Energiedichte, optimierte Kühlung.
  1. Welche Rolle spielt das thermische Management?

Eine homogene Temperaturverteilung ist kritisch. Systeme müssen Hotspots vermeiden, Alterung minimieren und Fail-Safe-Konzepte für Kühlausfälle enthalten.

  1. Wie unterscheiden sich die Sicherheitsstandards von denen im Straßenverkehr?

Für Pkw und Busse existieren ausgereifte Normen (z. B. ISO 12405, IEC 62660-1/-2, ISO 6469-1).
Für Schiffe, Luftfahrt und Schiene sind dagegen viele Normen noch im Aufbau – hier müssen Hersteller projektspezifische Sicherheitsnachweise und Zulassungen erarbeiten. Die DGUV I 209-093 kann analog für elektrifizierte Boote angewendet werden, für große Schiffe ist dies eingeschränkt möglich.

  1. Welche BMS-Funktionen sind unverzichtbar?

Überwachung von Zellspannung, Temperatur und Strom, Balancing, Fehlererkennung sowie Rekuperationsmanagement. Das BMS ist die zentrale Schutz- und Steuerinstanz des Systems.

  1. Welche Umwelteinflüsse sind zu beachten?
  • Schiene: Dauerhafte Vibration, Staub, Schockbelastung.
  • Schiffe: Korrosion, Salz, Kondensat – erfordern gekapselte, wartbare Systeme.
  • Airside: Große Temperaturspanne, Staub, FOD – modularer Aufbau empfohlen.
  1. Wie wird Sicherheit im Gesamtsystem erreicht?

Durch ein Schichtenkonzept: von Zellauswahl über Packmechanik, Sicherungen, BMS-Abschaltungen und Thermik bis hin zur Einbauumgebung.
Zusätzlich sind Transport- und Gefahrgutvorschriften zu berücksichtigen (z. B. IATA-Sonderbestimmung A154).

  1. Welche Wartungsstrategien sind sinnvoll?

Modulare Baugruppen, schneller Austausch und enge Betriebsfenster (SoC, Temperatur) verlängern die Lebensdauer und sichern hohe Verfügbarkeit – besonders bei Flottenbetrieb.

  1. Was ist das wichtigste Fazit für Ingenieure?

Wer Systeme vom Lastprofil ausgehend entwickelt, Thermik und BMS als sicherheitskritisch priorisiert und das Normen- und Transportregime früh berücksichtigt, erzielt sichere, effiziente und zukunftsfähige Lösungen – von Peak Power im Zug bis Zero Emission im Hafen.

11) Fazit

Lithium-Ionen-Batterien haben abseits des Straßenverkehrs vielseitige Einsatzfelder: Hybridisierte doer hybridähnliche Diesel-Elektro-Antriebe in Schiene und Schifffahrt, emissionsarme Hafen-/Flughafenlogistik sowie Pufferfunktionen in nicht elektrifizierten Abschnitten. Gemeinsam ist ein leistungs- und thermikgetriebenes Design mit robustem BMS – jedoch bei unterschiedlich reifem Normenumfeld: Während E-Straßenfahrzeuge über ausgereifte IEC/ISO-Prüfkataloge verfügen, müssen Schiff-, Luft- und Raumfahrt weiterhin dedizierte Standards etablieren und projektspezifisch absichern. Wer seine Auslegung konsequent vom Lastprofil her denkt, Thermik/BMS priorisiert und das Zulassungs-/Transportregime früh mitplant, erzielt sichere, effiziente Systeme – und nutzt genau jene Stärken, die Li-Ion in diesen Domänen erst möglich gemacht haben.

Hinweis zur Quellenbasis: Die hier zusammengefassten Aussagen beruhen auf den Abschnitten zu „Einsatzfeldern/Weitere Anwendungsbereiche“ (inkl. Hafen/Schiene/Flughafen) sowie der Normungsübersicht, die für Schiff-/Luft-/Raumfahrt einen noch zu etablierenden Normenkatalog nennt.

Wer im Umfeld von Hochvolt-Systemen arbeitet, trägt Verantwortung für die Sicherheit von Mensch, Umwelt und Betrieb. Eine solide Ausbildung – etwa über die Batteriebefundung sowie der Fachkundigen Person für Hochvolt bei TCS – ist dafür der erste Schritt.

PS: Unsere Empfehlung hierzu: Unser kostenloses (WIRKLICH kostenlos, auch OHNE Emailadresse angebene zu müssen!) Paper “6 Dinge, die Sie über die Hochvoltqualifizierung Ihrer Mitarbeiter im Voraus wissen müssen” ist hier erreichbar (klick).