Warum Materialien über Leistung, Sicherheit und Kosten entscheiden

Die Performance einer Lithium-Ionen-Zelle steht und fällt mit ihren Materialkombinationen – von der aktiven Kathode und Anode über Elektrolyt und Separator bis hin zu Kollektoren und Bindern. Diese Bausteine bestimmen Spannungslage, Energiedichte, Ladeleistung, Lebensdauer und das Sicherheitsverhalten – und damit auch Prozessfenster und Kosten in der Batterieproduktion.

Kathoden: Stellhebel für Spannung, Energiedichte und Risiko

Schichtoxide (LCO/NMC/NCA): Kapazität durch Nickel, Kobalt runter

Aktuelle Entwicklungsrichtungen setzen auf kobaltarme Mischoxide und höhere Nickelanteile, um Kosten zu senken und die Kapazität zu steigern; hohe Ni-Gehalte können spezifische Kapazitäten bis ~190 mAh g⁻¹ ermöglichen (zum Vergleich: etablierte NMC-Varianten ~160 mAh g⁻¹).

Spinelle (LMO, Hochvolt-Spinelle): Leistungsstark, aber Elektrolyt limitiert

LMO-Spinelle liefern sehr hohe Entladeströme (> 5 C), sind beim Hochstromladen aber durch ein enges Spannungsfenster limitiert. Nanostrukturierung verbessert die Hochstromfähigkeit, erfordert jedoch meist Beschichtungen, weil Mn³⁺-Löslichkeit an großen Oberflächen kritisch ist.
Hochvolt-Spinelle wie Li₁₋ₓ(Ni₀․₅Mn₁․₅)O₄ arbeiten um ~4,7 V; weitere Spinelle reichen – je nach Metall – bis ~5,1 V. Die größte Hürde ist die Oxidationsstabilität des Elektrolyten, der heute typischerweise nur bis ~4,3 V stabil ist.

Phosphate (LFP/LMP): Thermisch robust, elektrisch zu zäh – gezielt kompensiert

LFP kristallisiert im Olivin-Typ; Lithium diffundiert eindimensional entlang [010] – wichtig für das Ratenverhalten.
Die geringe elektronische Leitfähigkeit wird durch Nanostrukturierung und hochwertige Kohlenstoffbeschichtungen adressiert; so sind hohe Ausnutzungen (bis ~97 % der theoretischen Kapazität) und gutes Hochstromverhalten erreichbar.
Ein entscheidender Sicherheitsvorteil: Polyanionische Phosphate setzen bei Belastung keinen Sauerstoff frei; LFP zeigt ausgezeichnete thermische Stabilität und breite Elektrolytkompatibilität.
Manganhaltige Olivine (LMP) erhöhen die Spannung (~4,1 V), verlangen jedoch noch kleinere Partikel (< 80 nm) wegen niedriger Leitfähigkeit; 5 V-Olivine mit Co/Ni scheitern aktuell an der Elektrolytstabilität oberhalb ~4,3 V.

Implikation für die Auswahl:

  • Maximale Sicherheit/Robustheit → LFP.
  • Sehr hohe Leistung → LMO (ggf. beschichtet) oder HV-Spinell – aber Elektrolyt beachten.
  • Hohe Energiedichte → Ni-reiche Schichtoxide.

Anoden: Von Graphit bis Legierung – und warum Null-SEI ein Gamechanger sein kann

Graphit: Industriestandard mit klarer Physik

Nicht-solvatiertes Li interkaliert in Graphit bei 0–0,25 V (gegen Li/Li⁺) in klar definierten Stufen; die theoretische reversible Kapazität beträgt 372 mAh g⁻¹ – in hochwertigen Graphiten unter niedrigen Strömen praktisch erreichbar. Ein erster Zyklusverlust entsteht durch SEI-Bildung.
Die optimierte Partikelmorphologie (Rundung, amorphe C-Beschichtung) zielt auf geringe Oberfläche und stabile SEI ab; hochwertige synthetische Graphite entstehen über Hochtemperatur-Graphitierung.

Amorphe/harte Kohlenstoffe: Viel Kapazität bei sehr langsamer Ladung

Zusätzliche Kapazität stammt aus Li-Adsorption in Nanoporosität; industriell relevant ist meist nur der Interkalationsteil. Charakteristisch sind große Hysterese und hoher First-Cycle-Loss; dafür oft bessere Hochstromaufnahme als Graphit.

Silizium und Zinn: Kapazitätswunder mit Volumenarbeit

Legierungsanoden (Si, Sn) liefern sehr hohe theoretische Kapazitäten (z. B. Li₄․₄Sn ~ 993 mAh g⁻¹), leiden aber unter massiven Volumenänderungen, amorphisieren und verlieren dadurch Zyklierungsstabilität. Gegenmaßnahmen sind Nanopartikeldesign, C-Komposite und reaktive Binder – auf Kosten spezifischer Kapazität.

LTO (Li₄Ti₅O₁₂): „Null-Strain“ für Sicherheit und Lebensdauer

Lithiumtitanat interkaliert bei ~1,55 V, erreicht ~160 mAh g⁻¹, zeigt praktisch keine Volumenänderung, benötigt keine SEI und besitzt sehr niedrige Impedanz – das resultiert in exzellenter Zyklierbarkeit und hoher Sicherheit.

Implikation:

  • Hohe Energiedichte → Graphit (ggf. Si-Anteil).
  • Höchste Sicherheit/Lebensdauer → LTO.
  • Hohe Ladeleistung/Low-Temp → harte C-Fraktionen gezielt einsetzen.

Elektrolyt & Leitsalz: Mehr als „nur“ Ionentransport

Anforderungsprofil und Baukasten

Moderne Elektrolyte sind hochreine Multikomponentensysteme; gefordert sind u. a. hohe Leitfähigkeit von −40 °C bis +80 °C, hohe Zyklenfestigkeit sowie breite chemische Kompatibilität. „Den“ perfekten Elektrolyten gibt es nicht – Zielkonflikte bleiben.
Der Baukasten umfasst Lösungsmittel, Leitsalze und Additive.

Lösungsmittel: EC als SEI-Anker, PC mit Graphit problematisch

Kombinationen aus zyklischen (EC/PC) und linearen Carbonaten (DMC/DEC/EMC) balancieren Permittivität und Viskosität. EC wird fast immer (20–50 %) beigemischt, weil es eine dichte, elektronisch passive und Li⁺-leitfähige SEI erzeugt. PC hingegen bildet keine geeignete SEI auf Graphit; ko-interkaliert und zerstört die Graphitstruktur.

Leitsalze: LiPF₆ als Industriestandard

LiPF₆ dominiert kommerzielle Elektrolyte aufgrund einer einzigartigen Eigenschaftskombination – trotz akzeptierter Nachteile – und gewährleistet in üblichen Carbonat-Systemen hohe Li⁺-Mobilität.

Additive: Die „Meisterspucke“ für Lebensdauer und Hochvolt

SEI-bildner wie Vinylencarbonat (VC) – in vielen Zellen Standard – verbessern signifikant die Zyklenfestigkeit, indem sie bevorzugt reduziert werden und einen dünnen, elastischen Film erzeugen. FEC/VEC und SEI-aktive Salze wie LiBOB sind Alternativen oder Co-Additive.
LiBOB reduziert z. B. die Mn-Auswaschung aus LMO-Kathoden bereits bei geringen Zusätzen um eine Größenordnung und beeinflusst gezielt den SEI-Aufbau.
An der positiven Elektrode (relevant für HV-Technik) werden CEI-Passivierungen über Additiv-Oxidation zum Schlüssel, da echte Thermodynamik-Stabilität bei ~5 V nicht erreichbar ist.

Separator: Der unsichtbare Sicherheitsgurt

Funktion, Kenngrößen und Tests

Separatoren verhindern den Elektrodenkontakt, lassen aber Ionentransport zu; poröse, elektrolyt-getränkte Flächengebilde mit typ. ~40 % Porosität. Consumer-Zellen nutzen < 25 µm Dicke; großformatige Zellen bis ~40 µm für höhere Durchstoßfestigkeit. Porengröße/-verteilung müssen homogen sein; Normprüfungen (z. B. ASTM) und „Mix Penetration Strength“ liefern sicherheitsrelevante Kennwerte.

Trocken- vs. Nassmembran; Shutdown-Konzepte

Polyolefin-Membranen werden als Trocken- oder Nassmembran gefertigt. Nassprozesse (häufig UHMW-PE + Wachs, bidirektional gereckt, Extraktion) liefern geringere Anisotropie; Oberflächen-Hydrophilierung verbessert Benetzung und verkürzt die Zellbefüllzeit.
Mehrlagige PP/PE/PP-Separatoren realisieren „Shutdown“: PE schmilzt früher (~130–135 °C) und verschließt Poren, PP (~165 °C) stützt mechanisch – das wirkt aber nur bei langsamer Temperaturerhöhung; insgesamt begrenzt der Melt-Down von PP die obere Sicherheitsschwelle (~160 °C).

Kollektoren, Binder & Prozess: Das unterschätzte Drittel

Stromableiter: Aluminium vs. Kupfer – aus gutem Grund

Aktivmassen werden auf Metallfolien beschichtet: kathodisch meist Al (typ. 20–25 µm), anodisch Cu (8–18 µm). Al ist am negativen Potential nicht einsetzbar (Li-Al-Legierungen), daher Cu.

Binder, Leitruß und Lösungsmittel: Feinabstimmung zwischen Energie und Leistung

PVDF ist der klassische Binder (i. d. R. in NMP verarbeitet); wasserbasierte Binder gewinnen speziell auf der Anode an Bedeutung (Explosionsschutz, Abgasreinigung entfallen). Leitruß (~1–5 %) und Binder (~2–8 %) sind Trade-off-Hebel: Energie-Zellen minimieren Inaktiva, Leistungs-Zellen priorisieren Kontakt und Leitfähigkeit.

Prozessschritte mit Einfluss auf Qualität

Mischen, Dispergieren, Beschichten, Trocknen, Schneiden, Kalander – der spezifische Energieeintrag beim Dispergieren und die Homogenität der Slurry sind skalierungsrelevante Schlüsselgrößen.

Zellformate und Gehäuse: Materialkonsequenzen im System

Hardcase-Zellen nutzen Aluminium- oder Edelstahlgehäuse; Pouch-Zellen verwenden mehrlagige Verbundfolien (z. B. PA/Al/PP). Innenaufbauten sind Rund-Wickel, Flach-Wickel oder gestapelte „Stacks“. Formatwahl beeinflusst Anforderungen an Mechanik, Befüllung und Benetzung.

Praxis-Takeaways für Entwicklung & Fertigung

  • Zielparameter definieren: Energiedichte, Leistung, Sicherheit, Temperaturfenster und Kosten früh priorisieren – Materialwahl folgt daraus. (Beispiel: LFP für Robustheit; Ni-reiche Schichtoxide für Reichweite; HV-Spinell nur mit angepasst additiviertem Elektrolyten.)
  • SEI/CEI aktiv designen: Additive (VC/FEC, LiBOB) gezielt für Lebensdauer, Hochvolt-Passivierung und Mn-Stabilisierung einsetzen.
  • Separator passend zum Format: Dicke/Porosität und Membran-Technologie (trocken/nass) auf Zellenformat und Sicherheitsstrategie (Shutdown) abstimmen.
  • Prozessbeherrschung: Slurry-Homogenität, Kalander-Fenster und Trocknung sind ebenso performance-kritisch wie das Aktivmaterial.

Fazit

Materialauswahl ist Systemdesign: Kathode und Anode setzen Spannung und Kapazität, Elektrolyt und Additive schalten Lebensdauer und Hochvolt frei, Separator und Gehäuse sichern und strukturieren – und Kollektoren/ Binder sowie der Prozess liefern die oft unterschätzten Prozentpunkte. Wer diese Hebel zusammendenkt, bringt Zellen verlässlich ins gewünschte Fenster aus Energiedichte, Leistung und Sicherheit – und schafft zugleich robuste, skalierbare Produktionsfenster.  Die Materiadetails finden sich eher in der Schulung der Batteriefachkunde, Erwähnung finden diese auch in der hierfür Vorausgesetzten Hochvolt-Schulungen. PS: Unsere Empfehlung hierzu: Unser kostenloses (WIRKLICH kostenlos, auch OHNE Emailadresse angebene zu müssen!) Paper “6 Dinge, die Sie über die Hochvoltqualifizierung Ihrer Mitarbeiter im Voraus wissen müssen” ist hier erreichbar (klick).